Der Weserstein feiert sein Wiegenfest
Markenbotschafter markiert seit 125 Jahren den Beginn der Weser
02.09.2024
Am 2. September 1899 trafen sich einige Honoratioren an der Kastanie, um der Einweihung des Wesersteins beizuwohnen. Im Mittelpunkt der Runde stand Carl Natermann, der am 04.05.1854 in Bremen geboren wurde, war ein Sohn des gleichnamigen Rohtabakgroßhändlers Carl Natermann Senior. Letztgenannter wiederum stammte von Friedrich August Natermann ab, der 1825 die Firma Haendler & Natermann in Münden gegründet hatte. Carl Natermann Junior blieb lebenslang ledig und behielt enge Verbindungen nach Münden bei und verlegte 1901 seinen Wohnsitz dorthin. 1916 starb er, nachdem er seine letzten Jahre in einer Villa am Steinweg verbracht hatte.
So viel zu Carl Natermann Juniors biografischen Daten. Zu seiner Persönlichkeit allerdings gehörte etwas mehr. Er war von der Weser und der Tanzwerderspitze, an der bereits in den 1870er-Jahren eine Kastanie gepflanzt wurde, angetan und wollte im Juli 1899 an diesem markanten Punkt ein Gedicht anbringen, das dem „deutschesten aller deutschen Ströme“ gerecht werden sollte. Diese Folgerung zog er aus der Tatsache, dass ihre Quellflüsse allesamt im Deutschen Reich entspringen.
Die Mündenschen Nachrichten berichteten mehrfach von dem Vorhaben und riefen eine Art Wettbewerb um den besten Spruch ins Leben Am 27. Juli 1899 veröffentlichte die örtliche Presse unter der Rubrik „Eingesandtes“ dann zwei Verse aus Kassel. Einer lautete: Hier, wo sich Werra und Fulda küssen, beide den Namen einbüßen müssen; Doch innig verschmolzen – durch diesen Kuß entstehet der herrliche Weserfluß“. Am 31. Juli 1899 legte sich Natermann dann auf die Endfassung fest: „Wo Werra sich und Fulda küssen, Sie ihre Namen büßen müssen; Und hier entsteht durch diesen Kuß, Deutsch bis zum Meer der Weserfluß“.
Auch eine satirische Kritik zum Vorhaben finden wir. Krimhilde beispielsweise, die sich unter diesem Pseudonym als eine der Wesernixen bezeichnete, appellierte an Carl Natermann: „Bitte, bitte verscheuche uns nicht. Der Landschaft zur Liebe lass fort das Gedicht – die Tafel ziert wirklich die Gegend wohl nicht. – Wir tummeln dort nächtlich am Ufer und Rain, – Drum mag es, zum Heil uns auch ferner so sein. Nimm weg die Tafel und das Gedicht, – Das Niemand von uns ein Schaden geschicht.“
In einem weiteren Leserbrief vom 4. August 1899 schlug „Z.“ vor, dass, anstelle einer Holztafel auf einem Pfahl, ein Stein in der Nähe der Kastanie vorteilhaft sei, da Erstere schnell verwittert oder von Mündener Jungen in kurzer Zeit zerstört werden könne. Oberholzhauer Eduard Findorf (Rinderstall) und Oberförster Wilhelm Dörr griffen den Gedanken auf und schlugen einen Quarzitblock aus der Nähe des Rinderstalls vor, doch der Transport sollte kein leichter sein. Das Gewicht wurde mit 70 Zentnern (also etwa 3,5 t) angegeben. Fuhrunternehmer Christian Knüppel schaffte den Block zunächst zum Steinmetz Georg Eckhardt an der Fuldabrücke. Dort arbeitete er die äußerst harte Verwitterungskruste ab, sodass eine Fläche entstand, auf der er den Spruch einmeißeln konnte.
Es folgte der Schlussakt: das Aufstellen des Steins an seiner jetzigen Stelle. Am 2. September 1899 leiteten laute Böllerschüsse von der Tillyschanze die Einweihung des Wesersteins ein. Es war der Staatsfeiertag, an dem der Sieg über Frankreich bei Sedan im Jahre 1870 gefeiert wurde – aus diesem Sieg ging letztlich am 18. Januar 1871 mit der Kaiserproklamation das Deutsche Reich hervor. Dr. Muhlert vom Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs und Oberförster Dörr vom Verschönerungsverein sprachen ihren Dank an alle Beteiligten aus, vor allem an den Initiator Carl Natermann.
Kaum stand der Stein, wurde er bereits Bestandteil eines öffentlichen Ärgernisses, da Mündener Jungen auf ihm herumkletterten. Doch all das konnte seiner Existenz bist heute nicht wirklich etwas anhaben. Der Spruch, der als Zitat selbst in Schulbücher Eingang fand, verbreitet sich noch immer als Postkarten- und Fotomotiv in alle Welt. Die Kastanie, die, nun auf „vier Krücken“ gestützt, hoffentlich noch einige Jahrzehnte diesen besonderen Ort beschirmen wird, und der Weserstein sind nicht wegzudenkende Markenbotschafter Mündens und des Weserberglandes.
Autor/in: Pressestelle der Stadt Hann. Münden
Quelle: Stadtarchivar Stefan Schäfer