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10.11.2022

Erinnerung und Mahnung am 9. November

Bürgerinnen und Bürger gedachten dem Schicksal der einstigen Hann. Mündener Familie Madelong im Holocaust

10.11.2022

Es ist nur schwer vorstellbar, welches unfassbare Leid die jüdische Familie Madelong in der Zeit des Nationalsozialismus ertragen musste. Fünf Generationen überdauerte ihre, als Kaufleute eng verwobene, Beziehung zu Hann. Münden, ehe die Nazis ihr ein gewaltsames Ende setzten.

Am vergangenen Mittwoch, 9. November, dem „Schicksalstag“ in der deutschen Geschichte und u.a. Datum der Reichspogromnacht 1938, hatte der Verein „Erinnerung und Mahnung“ mit der 1. Vorsitzenden Julia Bytom sowie dem 2. Vorsitzenden Stefan Schäfer, seines Zeichens Stadtarchivar der Stadt Hann. Münden, zu einem Rundgang durch die Altstadt eingeladen. Während des Rundgangs wurden die Wohnhäuser aufgesucht, in denen Harry und Hertha Madelong sowie ihr Sohn Gerhard einst lebten – zunächst freiwillig, später gezwungener Maßen.

Vor dem eigentlichen Wohnhaus in der Langen Straße teilte Stefan Schäfer sein Wissen mit den insgesamt 40 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern, die der Einladung des Vereins gefolgt waren. Julia Bytom zeigte Fotoaufnahmen, auf denen die Mitglieder der Familie Madelong zu sehen waren. Erfolgreiche Kaufleute seien sie gewesen, die Madelongs, und damit auch ein Dorn im Auge aller, die von Neid und Missgunst zerfressen, den Juden zur Zeit des Dritten Reiches das Schlimmste wünschten. Getrieben von der Propaganda des Machthabers Adolf Hitler wurden jüdische Familien wie die Madelongs systematisch in die Verarmung und schließlich in den Tod getrieben.
Was im Jahr 1933 mit dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte begann, endete in einer bis dato unbekannten Tragödie mit dem Tod von über 6. Mio. Jüdinnen und Juden. Ehe sich die Spur der Madelongs nach ihrer Depotierung 1942 im Warschauer Ghetto verlor, hatten sie ein kaum in Worte zu fassenden Schicksal zu erleiden. Die bis dato treue Kundschaft war genötigt worden, jüdische Geschäfte zu meiden. 1935 entzog die Salamander AG, das Vertriebsrecht seiner Markenschuhe. Ende 1937 musste das Geschäft mit einem Schlussverkauf schließen. Familienvater Harry Madelong wurde im Zuge einer Verhaftungswelle vom 10.11.1938 mit weiteren 21 jüdischen Männern zeitweise in ein Gefängnis verschleppt. Im Juli 1940 musste die Familie zu der Witwe Johanna Sommerfeld in die Siebenturmstraße umziehen.

Es folgten Einschränkungen im täglichen Leben. So durfte Sohn Gerhard nur mit einer Ausnahmegenehmigung die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, um eine jüdische Schule in Kassel zu besuchen. Der Einkauf von Lebensmitteln wurde nur noch zu bestimmten Tageszeiten und in vorgeschriebenen Geschäften gestattet. Soweit wie möglich wurden die Juden vom öffentlichen Leben in Deutschland ausgeschlossen und isoliert. Die sogenannte „Aussiedlung“ der Madelongs im März 1942 in den Osten sollte den letzten Lebensabschnitt der Hann. Mündener Familie besiegeln. Madelongs erhielten am 24.03.1942 den Bescheid zur Aussiedlung, mussten Mobiliar, Sachwerte und Hausrat penibel genau auflisten und alle Wohnungsschlüssel bereithalten. Mit Reisegepäck, dass in erster Linie nur zweckdienliche Dinge und Reiseproviant enthalten durfte, wurden sie am 27.03. in das Rathaus geführt. Von dort aus brachte sie ein Bus mit insgesamt 15 Personen zur Gestapo nach Hildesheim. Nach dortiger Registrierung und Weiterleitung fuhr am 30.03.1942 ein Zug mit 1.005 Personen von Hannover in das Warschauer Ghetto.

Das nur etwa drei Quadratkilometer große Ghetto war zu diesem Zeitpunkt mit über 460.000 Personen überfüllt. Seuchen und Hunger grassierten bereits im Ghetto. Ab Juli 1942 begann die „Evakuierung des Ghettos“, sprich die Reise in die Vernichtungslager, wie in diesem Fall nach Treblinka. Wann und wo die 1.005 Personen aus diesem Transport umkamen, ist unbekannt. Harry Madelongs Mutter Ida erhielt drei Monate nach ihrem Sohn die Aufforderung zur „Ausreise“. Ihr Lebensweg endete im September 1942 in Treblinka, wo sie noch am selben Tag in den Gaskammern ermordet wurde.

Nach dem Rundgang an der Gedenkstele angekommen, legten die Anwesenden kleine Kieselsteine ab, um der unschuldigen Menschen, die durch den Nationalsozialismus ihr Leben verloren, zu gedenken.

Julia Bytom zeigte sich gerührt von der Anteilnahme durch die Mündener Bürgerinnen und Bürger: „84 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen gibt es so gut wie keine Zeitzeugen mehr. Deshalb ist es unsere Aufgabe die Menschen daran zu erinnern und zu mahnen, damit auch die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte nicht in Vergessenheit geraten und sie sich nicht wiederholen.“

Bürgermeister Tobias Dannenberg dankte den Vereinsvertretern und vor allem Stadtarchivar Stefan Schäfer für die eindrucksvolle Darstellung der damaligen Ereignisse: „Es ist immer wieder zutiefst berührend vom Schicksal der Menschen aus dieser Zeit zu erfahren. Der Rundgang ließ das Schicksal der Familie Madelong noch greifbarer werden. Unsere Aufgabe muss darin bestehen, die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten und die Zukunft positiv zu gestalten.“

Autor/in: M. Simon / Pressestelle Hann. Münden
Quelle: Fachdienst Kultur

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