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30.01.2023

Gegen das Vergessen

Der Verein „Erinnerung und Mahnung“, der Heimat- und Geschichtsverein Sydekum zu Münden und die Stadt Hann. Münden erinnerten am internationalen Holocaust-Gedenktag an den Terror des NS-Regimes

30.01.2023

Mit bewegenden Worten berichtete Stadtarchivar Stefan Schäfer am vergangenen Freitag, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, von jenem Schicksal, welches die Mündenerin Frieda Wertheim in der Zeit des Nationalsozialismus ereilte. Die Stadt Hann. Münden, der Verein „Erinnerung und Mahnung“, sowie der Heimat- und Geschichtsverein Sydekum zu Münden hatten am frühen Abend zum Gedenken an der Stele an der Südseite des Rathauses eingeladen. Nachdem das Leben der 1877 in der Dreiflüssestadt geborenen Frau skizziert wurde, kam Stefan Schäfer schließlich auf den Nazi-Terror zu sprechen, der Millionen von Menschen das Leben kosten sollte.

Erinnert wurde insbesondere an Frieda Wertheim: Sie wurde am 5. Oktober 1877 als Frieda Meyer geboren. Sie war das zehnte von zwölf Kindern des Kaufmannes Meyer Jacob Meyer und Rebecca, der ein erfolgreiches Handelshaus in der heutigen Marktstraße 18 betrieb. Bereits mit 14 Jahren wurde sie vom Elternhaus in die Fremde in Stellung als Haustochter geschickt und lebte in Hamburg und Warburg. 1904 heiratete sie in Münden den Lehrer Adolf Wertheim, dessen Bruder Theodor ebenfalls als Lehrer in Münden wirkte. Sie zog zu ihrem Mann nach Neustadt/Kirchhain und wurde mit Hildegard und Richard zweifache Mutter. Nachdem ihr Mann 1916 verstorben war zog Frieda Wertheim 1937 zu ihrer Tochter nach Köln und entschloss sich, schließlich unter dem Druck des NS-Staates nach Amsterdam in die Niederlande zu emigrieren. „Ab Mai 1940 besetzte die Wehrmacht die Niederlande. Mit ihr folgte der Terror. Ab Juli 1942 fuhren mehr als 100 Züge vom Sammellager Westerbork in den Niederlanden mit mehr als 107.000 Menschen direkt in die Lager des Ostens“, erinnerte Stefan Schäfer.

Unter ihnen auch Frieda Wertheim. Während einer tagelangen Zugfahrt in drangvoller Enge eines Güterwagens bis hin in das Vernichtungslager Sobibor trat sie ihre letzte Reise an. Am 11. Juni 1943 dort angekommen, entpuppte sich der Ort als Vorhof zur Hölle. „Wagontüren wurden aufgerissen, scharfe Kommandos gebrüllt. Die Umzäunung, in die die Menschen hineingetrieben wurden, war mit Reisig vor neugierigen Blicken in das Lager getarnt. Auf dem großen Platz war sämtliches Gepäck abzulegen, sich vollständig auszuziehen, um anschließend in das „Duschbad“, jenem Flachbau am gegenüberliegenden Ende über die „Himmelsstraße“ einzutreten, aus dem lebend niemand herauskommen sollte. Je enger er gefüllt war, desto schneller wirkte das nun aus Motoren hineingeblasene Kohlenmonoxid. Unterdessen wurde am Sammelplatz die letzte Habe sortiert, nebst der Haare, die den Todgeweihten abgeschoren wurden. Unter den Augen weniger SS-Angehöriger kontrollierten Wachmannschaften, die aus ehemaligen Soldaten der Sowjetarmee rekrutiert wurden, das tödliche Handwerk“, beschrieb Hann. Mündens Stadtarchivar dieses Schreckensszenario, dem schlussendlich nur etwa rund 5.000 Menschen entkommen konnten.

Dem Gedenken an der Stele folgte ein Vortrag im Welfenschloss, dem Stefan Schäfer unter Zuhilfenahme historischer Bilder zu mehr Ausdruckstärke verhalf. Gegen 18.45 Uhr hatten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rittersaal eingefunden, um seinen weiteren Ausführungen zu lauschen. Im vergangenen Sommer hatte Stefan Schäfer eine mehrtägige Bildungsreise nach Ost-Polen angetreten, um die Orte aufzusuchen, an denen während des 2. Weltkriegs Vernichtungslager zu finden waren, darunter Belzec, Treblinka und Sobibor. Anhand der Fotoaufnahmen erklärte der Stadtarchivar, wie man in Polen mit derart geschichtsträchtigen Ereignissen umgeht. Die genannten Vernichtungslager standen über Jahrzehnte buchstäblich im Schatten von Auschwitz. Erst in jüngster Vergangenheit sei ein verstärktes Bewusstsein um die Wichtigkeit der Aufrechterhaltung dieser Erinnerung entstanden.

Aber nicht nur Orte spielten in dem Vortrag eine größere Rolle, sondern auch Personen. So kam Stefan Schäfer auf den SS-Mann Johann Niemann zu sprechen, der als „Leichenbrenner“ in Erscheinung trat und mit der Beseitigung unzähliger ermordeter Jüdinnen und Juden beauftragt worden war. Im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ erfolgte dessen Einsatz in den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor, wo er zeitweise die Funktion des diensthabenden Lagerkommandanten inne hatte. Im Oktober 1943 kam Niemann bei einem Lager-Aufstand in Sobibor ums Leben. 1,5 Mio. Menschen wurden Opfer des Vernichtungswahns.

Bürgermeister Tobias Dannenberg dankte den Organisatoren für die inhaltliche Gestaltung der Gedenkveranstaltung und wies vor den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern auf deren Wichtigkeit hin: „Da es immer weniger Zeitzeugen gibt, ist es umso bedeutsamer, dass wir als nachfolgende Generation das geschehene Unrecht nicht vergessen und die Erinnerung an die unzähligen Opfer aufrechterhalten.“

Autor/in: M. Simon / Pressestelle Hann. Münden
Quelle: Fachdienst Kultur

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